Navi geht's

Das Redaktionsteam, dem ich diesen Text angeboten hatte, lehnte die Veröffentlichung ab. Es könnte zu Protesten wegen einer eventuell frauenfeindlichen Darstellung der Navigationsgeräte kommen. Ich muss sagen, das ist die beste Rezension, die ich bislang auf eine Glosse erhalten habe.
 
 
 
 
 
 
Navi  geht´s?
 
Viele behaupten, Mose sei nur deshalb 40 Jahre lang durch die Wüste geirrt, weil er nicht nach dem Weg fragen wollte.
Aber ich habe eine andere Erklärung dafür, dass sich die Israeliten damals so gewaltig verlaufen haben: Sie benutzten eines der ersten Navigationsgeräte.
Lange Zeit bin ich diesen elektronischen Wegweisern mit ihren charmanten Sprecherinnen aus dem Weg gegangen. Zum einen höre ich grundsätzlich nicht auf das, was mir eine Frau sagt, zum anderen bin ich Sozialpädagoge und kann irgendwo hinfahren – ich werde überall gebraucht.
Aber seit wir ein Navigationsgerät im Landratsamt haben, kann auch ich mich nicht mehr gegen die Errungenschaften des digitalen Zeitalters sperren.
Das erste Mal hatte ich mir das Navi auf Anraten eines lieben Kollegen hin ausgeliehen. Ich hatte ihm zuvor mein Herz ausgeschüttet, dass ich drei Stunden lang nicht aus Würzburg heraus gekommen bin.
„Hey, genau wie bei mir!“ meinte der Kollege. „Ich hab dann beim nächsten Mal einfach das Navi genommen“.
Nachdem ich seinen Rat befolgt hatte und ihm später erklären musste, dass mich das Navi auf einen Feldweg in eine Ziegenherde gelotst hatte, meinte er nur:
„Hey, genau wie bei mir!“
Seit dieser Fahrt weiß ich auch, woran ich erkenne, dass mir das Navi gerade einen falschen Weg anzeigt: es ist eingeschaltet.
 
Unvorhergesehene Synergieeffekte nutzen konnte ich dagegen auf meiner letzten Dienstfahrt (es war wirklich die letzte, seither traue ich mich nicht mehr aus dem Amt).
Ich musste zu einer Tagung fahren und hatte das amtseigene Navigationsgerät dabei.
 „In achthundert Metern fahren sie bitte rechts (an dem Bitte erkennt man das kundenorientierte Navi). Bitte im Kreisverkehr wenden. In achthundert Metern fahren sie diesmal links. Bitte wenden. In achthundert Metern fahren sie gefälligst rechts!“
Ein Kollege, der mich begleitete, wollte sein eigenes Navi nicht im Wagen liegen lassen und nahm es mit zu mir an Bord.
Anfangs war es noch ganz nett. Beide Damen aus den Geräten schickten mich, warum auch immer, von Miltenberg über Tauberbischofsheim auf die A3. Das ältere Model des Kollegen brauchte etwas länger zum Berechnen der Route und meldete sich immer ein paar Sekunden später als das Landratsamtsnavi.
Kurz hinter Randersacker kam es dann zum Eklat.
 
Das Landratsamtsnavi auf der Mittelkonsole, im Folgenden kurz Lalle:
„In 300 Metern fahren sie bitte rechts ab“.
 
Das satellitengestützte Ortungssystem auf dem Rücksitz beim Beifahrer, im Folgenden kurz Stotter:
„In 200 Metern verlassen sie die Straße und biegen rechts ab“.
 
Lalle: „In 50 Metern biegen sie bitte links ab“.
 
Stotter: „Am Ende der Straße biegen sie rechts ab“.
 
Lalle: „Biegen sie jetzt links ab“.
 
Stotter: „Blödsinn. Biegen sie rechts ab“.
 
Lalle: „Was fällt dir ein, in meine Fahrtroute zu quatschen! Ignorieren sie das Flittchen und biegen sie bitte links ab“.
 
Stotter: „Hach, Flittchen? Das kommt ausgerechnet von dir! Du fährst doch bei jedem mit! Und überhaupt, dass du dich mit diesen Farben überhaupt noch auf die Straße traust, die sind doch mindestens mal vom letzten Sommer!“
 
Mittlerweile war bereits die dritte Grünphase an der Ampel ungenutzt verstrichen. Die anderen Autos zogen hupend einen Bogen um den Dienstwagen.
Ein Polizist schaute zu Fenster herein: „Navi an Bord? Alles klar! Ich leite den Verkehr um“.
 
Also ich weiß ja nicht, wie es ihnen geht, aber ich halte es da mit Ghandi: Der Weg ist das Ziel. In unserer stressüberladenen Welt sollte man einfach mal innehalten und den Blick für die kleinen Dinge am Wegrand öffnen. Die Blümchen vielleicht.
Oder das lustige Vögelein, das einen Grashalm zu seinem Nest fliegt.
Wann haben sie sich zuletzt die Zeit genommen für diese heimlichen Wunder?
Es war dunkel geworden. Die Kollegen von der Nachtschicht hatten dem Polizisten an der Abzweigung belegte Brötchen und eine Thermoskanne mit Kaffe gebracht.
Ich weinte still in meine gefalteten Hände.
Hinter mir riss der Kollege mit seinen Zähnen das Innenfutter aus der Nackenstütze und spuckte es auf den Rücksitz.
 
Lalle: „Hast du gehört, die beiden sollen sich ja schon letzten Monat getrennt haben“.
Stotter: „Na kein Wunder, so wie die ihn behandelt hat. Ich will ja nichts sagen. Ich mein ja nur“.
Lalle: „Und die andere, wie heißt sie noch mal, na die hat ja auch ganz schön zugelegt. Und wie die fährt! Na mich wundert ja gar nichts mehr.“
Stotter: „Grundgütiger, wenn mein Hund so ausschauen würde wie die, dann würde ich ihm den Hintern rasieren und ihn rückwärts laufen lassen! Hast Du eigentlich schon die neue aus dem Discounter kennengelernt?“
Lalle: „Na wo die billigen Dinger nur immer ihre Arroganz hernehmen“.
 
In meiner Selbsthilfegruppe habe ich jetzt gelernt, dass mein Schicksal von Randersacker kein Einzelfall ist. Und nicht jeder ist so umsichtig wie ich und lässt erst noch die übrigen Fahrgäste aussteigen, bevor er den Dienstwagen in den Fluss schiebt.
Wichtig ist nur, dass die erneute Heranführung an Navigationsgeräte sanft und schrittweise erfolgt.
Ich erhielt beispielsweise die ersten drei Monate nur ein Navi mit einer sozialpädagogischen Spracheinstellung:
„Darf ich ihnen den Weg vortanzen?“
„Sie müssen nicht die Richtung wechseln, sondern das System“.
 
Seit kurzem habe ich aber wieder ein handelsübliches Navi, allerdings nur für den amtsinternen Gebrauch. Schließlich kann man nicht nur auf deutschen Straßen, sondern auch im Labyrinth aus Paragraphen und Verordnungen die Orientierung verlieren. Und dieses Navi zeigt mir dann den Weg aus jedem verwaltungsrechtlichen Problem:
„An der nächsten Kreuzung biegen sie rechts ab. Nach 50 Metern biegen sie links ab. Nach 20 Metern biegen sie links ab. Stecken sie eine Münze in den Kaffeeautomaten.
Sie haben ihr Ziel erreicht“.